Planetary Health – Basis unseres Ernährungssystems

Ohne einen gesunden Planeten gibt es früher oder später auch kein Essen mehr – dafür muss sich viel ändern, und zwar schnell

Schild auf einer Demonstration am Rand einer Kohlegrube in Lützerath mit der Aufschrift "Hier entscheidet sich auch, ob unser Planet übelebt".  © Dr. Gesa Maschkowski
  • Seit 10 Jahren gibt es die Wissenschaftsdisziplin Planetary Health. Sie untersucht die Wechselwirkungen zwischen unseren Lebensgrundlagen und dem Leben auf der Erde.
  • Die gute Nachricht ist: Unsere Erde kann 10 Milliarden Menschen gesund und nachhaltig ernähren, wenn wir sie erhalten und regenerieren.
  • Die schlechte Nachricht ist: Das industrielle Agrar- und Ernährungssystem überlastet die Erde und gefährdet die Ernährungssicherheit weltweit, auch in Europa.
  • Das Konzept der Planetary Health Justice beschreibt, was wir tun müssen, um die Grenzen der Erde zu wahren und allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Den hochindustrialisierten Ländern kommt eine besondere Verantwortung zu, denn sie haben am meisten zur Erdüberlastung beigetragen.

Planetary Health – für ein gutes Leben auf einer intakten Erde

Im Jahr 2015 wurde der erste Lancet Planetary Health Report veröffentlicht. Er markierte den Auftakt der neuen Wissenschaftsdisziplin Planetary Health. Sie untersucht, wie zehn Milliarden Menschen gesund und gut auf dieser Erde leben können, ohne sie zu überlasten. In diesem Zug entstanden weltweite Forschungsinitiativen und Berichte, die eine hohe Relevanz für das Ernährungssystem haben, zum Beispiel:

  • Der Lancet Countdown ist eine internationale Forschungskoooperation von fast 300 Wissenschaftler*innen unter Leitung des University College London. Die Berichte dokumentieren und verfolgen weltweit Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Klimawandel, die Fortschritte und die Rückschritte.
  • Die EAT-Lancet-Kommission hat 2019 den Eat Lancet Report veröffentlicht. Dieser Bericht und zahlreiche Folgestudien beschreiben die Notwendigkeit und Strategien einer globalen Ernährungstransformation.
  • Ein Konsortium unter Leitung des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) publizierte 2020 seine Forschungsergebnisse zu Strategien der Ernährungstransformation in unterschiedlichen Regionen der Erde.
  • Der Planetary Health Check versteht sich als globale Initiative zur Messung und Erhaltung des Erdsystems.
  • Die Welt Kommission für Planetare Gesundheit entwickelte 2024 das Modell der Erdsystemgerechtigkeit. 

Der Zustand der Erde: Sechs von neun Belastungsgrenzen überschritten

Alles hängt mit Allem zusammen

Neun Prozesse ermöglichen das Leben auf der Erde, so wie wir es kennen. Sechs davon sind bereits überlastet. Diese Systeme beeinflussen sich gegenseitig. Wenn es uns zum Beispiel gelingt, die Klimaerhitzung zu verringern, dann ist das positiv für alle anderen Systeme. Und umgekehrt. Jede Tonne CO2, die wir emittieren, verbleibt über Jahrhunderte in der Atmosphäre und verstärkt den Treibhauseffekt. Das hat negative Folgen für die Wälder, die Wasserkreisläufe und die biologische Vielfalt. 

Der grüne Bereich signalisiert gute Lebensbedingungen auf der Erde. Orange bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit von Schäden zunimmt. Die Farbe Rot-Lila kennzeichnet eine starke Überschreitung der Grenzen und führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Destabilisierung des Erdsystems. 

Dieses Ernährungssystem ist eine Gefahr für die Ernährungssicherheit

Gut die Hälfte der derzeitigen Nahrungsmittelproduktion weltweit trägt zur Überlastung der planetaren Grenzen bei. Sie führt zum Verlust biologischer Vielfalt, setzt den Ökosystemen zu und verschärft die Wasserknappheit. In Deutschland sind es sogar 60 Prozent der Lebensmittelproduktion, ermittelte das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (siehe Vortrag des Wasserexperten Prof. Dr. Dieter Gerten). Gleichzeitig ist unsere Ernährungsversorgung von den Ökosystemen abhängig, die wir gerade zerstören:

  • Genetische Vielfalt: Mehr als 75 Prozent aller Nahrungspflanzen brauchen Insekten für die Bestäubung. Monokulturen und die Abholzung von Wäldern für die Nahrungs- und Futtermittelproduktion treiben jedoch das Artensterben voran. Auch die Überdüngung schadet vielen Arten, denn die meisten Wildpflanzen vertragen keinen Dünger.
  • Nährstoffkreisläufe: Die Überlastung von Böden und Gewässern mit Stickstoff und Phosphor in Deutschland wird zu 90 Prozent durch künstliche Düngemittel und die intensive Tierhaltung verursacht, stellte der Sachverständigenrat Umweltfragen in seinem Sondergutachten zu Stickstoff fest.
  • Land: Auch in Deutschland leiden die Wälder unter Dürren, Schädlingen und Bränden. Hinzu kommt, dass wir nach Angaben des Umweltbundesamtes jeden Tag immer noch 55 Hektar versiegeln und zwar überwiegend wertvolles Ackerland. Diese Flächen fehlen zur Sicherung der regionalen Ernährungsversorgung und gehen als Wasser- und CO2 -Speicher verloren.
  • Erderhitzung: Das Ernährungssystem trägt 25 bis 35 Prozent zur weltweiten Treibhausgasbelastung bei. Selbst wenn alle politisch zugesagten Maßnahmen umgesetzt werden, müssen wir derzeit mit einer globalen Erderhitzung von 1,9 bis 2,6 Grad rechnen. Damit kann es auf dem Festland in Deutschland im Sommer zu Temperaturen von bis zu 50 Grad kommen, so die Vorhersagen des Copernicus Dienstes Klimawandel. Solche Temperaturen gefährden die Ernährungssicherheit. Der Weltklimarat IPCC ging im Jahr 2022 in einem Sondergutachten davon aus, dass zwar künftig in nördlichen Regionen mehr Weizen angebaut werden könnte. Bei Mais, Hirse und Soja hingegen ist weltweit mit Ernteverlusten zwischen neun und 32 Prozent zu rechnen. Bei Gemüse werden die Schäden noch höher eingeschätzt. Ab 46,7 Grad bricht auch die Photosynthese von tropischen Bäumen zusammen, so die Ergebnisse einer neueren Studie im Wissenschaftsjournal Nature

Erdystemgerechtigkeit: Der faire Anteil für Alle

Wir stehen vor einer moralischen Entscheidung: Gestehen wir allen Menschen ein Recht auf Ernährung zu oder nicht? Ein Weiter so wie bisher verletzt dieses Menschenrecht. Nur mit einer umfassenden Transformation der Energie- und Ernährungssysteme kann sich die Menscheit auch in Zukunft gesund und nachhaltig ernähren. Die Erdkommission für planetare Gesundheit hat dafür im Jahr 2024 eine neue Definition von Gerechtigkeit entwickelt, die Earth System Justice. Sie beschreibt, was wir tun können, um weltweit die planetaren Grenzen einzuhalten und allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Der Überkonsum von ungesunden Lebensmitteln mit einem hohen Fleischanteil beispielweise gefährdet die weltweite Nahrungsversorgung mehr, als das Fehlen von Land. Und wenn wir allein 15 Prozent des kultivierten Landes renaturieren, dann könnten wir 60 Prozent des erwarteten Artensterbens vermeiden und rund 300 Gigatonnen CO2 auf diesen Flächen speichern. 

Kommunen und Unternehmen haben eine Schlüsselrolle bei der Energie- und Ernährungstransformation. Denn sie müssen ermitteln, was die Einhaltung der planetaren Grenzen für ihren Wirkungsbereich bedeutet und dies in entsprechende Maßnahmen übersetzen. Den hochindustrialisierten Ländern kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Denn sie haben 92 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verursacht und damit am meisten zur Zerstörung des stabilen Klimas beigetragen. Gleichzeitig verfügen sie über mehr Ressourcen als die am wenigsten industrialisierten Länder, die am stärksten von den Folgen betroffen sind.

Der sichere und gerechte Korridor ist ein klar definierter Raum, in dem die menschliche Entwicklung sicher und gerecht stattfinden kann. Er basiert auf der Anerkennung der Tatsache, dass die natürlichen Ressourcen der Erde, nämlich CO2, Nährstoffe, Wasser und Land, begrenzt sind und gerecht zwischen Mensch und Natur geteilt werden müssen (Gupta et al. 2024:2 Übers. d. Verf.).

Megadürren und Wasserfluten in Europa

“Was gerade geschieht, das ist der Zusammenbruch multipler verletzter Systeme – Systeme, von denen die Menschen fundamental abhängig sind”, stellte der britische Ökonom Jason Hickel im Jahr 2022 fest. Im Jahr 2024 veröffentlichte die Europäische Umweltagentur eine Analyse zu den Klimarisiken in Europa, denn der europäische Kontinent erwärmt sich am schnellsten von allen Kontinenten. Europa ist nicht ausreichend auf die Klimarisiken vorbereitet, stellte die Behörde fest. Sie rechnet mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, die Landwirtschaft, die Infrastrukturen und die Wirtschaft.

Klimarisiken können sich kaskadenartig von einem System oder einer Region auf andere übertragen (...). Beispiele hierfür sind extreme Dürren, die zu Wasser- und Ernährungsunsicherheit, Störungen kritischer Infrastrukturen sowie Bedrohungen für die Finanzmärkte und die Stabilität führen (Europäische Umweltagentur 2024: 3).

 

Unsere Ernährungssicherheit hängt also von der Reduktion der Treibhausgasemissionen in allen Sektoren ab, nicht nur in der Land- und Ernährungswirtschaft. Auch bei der Energieerzeugung, in der Industrie, im Verkehr und bei der Wärmeversorgung von privaten und öffentlichen Gebäuden werden nach wie vor zuviel Treibhausgase emittiert. Je schneller diese Sektoren unabhängig von fossilen Rohstoffen werden, desto größer ist die Chance, dass es in Zukunft noch klimatische Bedingungen gibt, unter denen ausreichend Nahrung wächst.

Viel mehr Obst, Gemüse, Nüsse und Hülsenfrüchte – und zwar nachhaltig

Wir können 10 Milliarden Menschen gesund und nachhaltig ernähren, wenn wir das Ernährungssystem umbauen. Zu den großen Kehrtwenden, die in umfangreichen Studien beschrieben wurden, gehören:

  • Ökologische Intensivierung: Dafür kombiniert man agrarökologische Methoden wie Mulchen oder vielfältige Kulturen auf dem Feld mit technischen Innovationen, zum Beispiel smarten Bewässerungssystemen.
  • Mehr Pflanzen aufs Feld: Derzeit produzieren wir weder welt- noch deutschlandweit genügend nachhaltige, pflanzliche Lebensmittel. Auf unseren Feldern müssen dafür doppelt so viel Obst und Gemüse, ein Vielfaches an Nüssen und Hülsenfrüchten wachsen und viel weniger Tiere gehalten werden. Die leben vorzugweise auf Weiden und unterstützen die Nährstoffversorgung der Böden, Pflanzen und Menschen.
  • Ernährungsumfelder verbessern: Geschäfte, Kitas, Schulen und Altenheime, Tankstellenkioske und Kantinen müssen ihr Lebensmittelangebot so verändern, dass alle Menschen, unabhängig vom Geldbeutel, Zugang zu gesunden Lebensmitteln aus einer intakten Natur haben.
  • Damit das gelingt, müssen die politischen Hebel in Richtung Nachhaltigkeit umgestellt werden. Die Produktion von Lebensmitteln unter Überlastung der planetaren Grenzen darf sich nicht mehr lohnen. Denn in Wahrheit zahlen wir viel mehr für Lebensmittel als das Preisschild vermuten lässt. Die EAT-Lancet-Kommission empfiehlt außerdem die Einschränkung von Werbung für ungesunde und nicht nachhaltige Produkte.
  • Bildungsoffensive für Schlüsselpersonen: Ernährungsbildung für Kinder ist zwar wichtig, aber zu langsam. Die EAT-Lancet-Kommission empfiehlt daher eine Bildungsoffensive für Schlüsselpersonen wie Köchinnen und Köche sowie Mitarbeitende aus dem Lebensmittelhandwerk und der Lebensmittelindustrie, damit sie attraktive und leckere Gerichte und Produkte herstellen, die die planetaren Grenzen wahren.
  • Lebensmittelverschwendung: Natürlich dürfen möglichst keine Lebensmittel mehr vernichtet werden. Die Menge der Lebensmittelabfälle muss mindestens unter 50 Prozent sinken, verglichen mit heute.

     

Hitzeprognose für Deutschland

Der Meteorologe Karsten Schwanke vom ARD-Wetterkompetenzzentrum erklärt anlässlich des Weltklimaberichtes 2023 wie der Klimawandel das Wetter verändert.

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Mehr zum Thema lesen Sie in unserem Artikel Die Klimakrise bedroht die Ernährungssicherheit.

Vortrag: Vom Problem zur Lösung

Prof. Dr. Dieter Gerten vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) erklärte in seiner Keynote beim 4. BZfE-Forum „Essen wird anders – Ernährung und die planetaren Grenzen“, warum unser Ernährungssystem die Belastungsgrenzen der Erde überschreitet und wie wir das ändern können.

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