- Seit 10 Jahren gibt es die Wissenschaftsdisziplin Planetary Health. Sie untersucht die Wechselwirkungen zwischen unseren Lebensgrundlagen und dem Leben auf der Erde.
- Die gute Nachricht ist: Unsere Erde kann 10 Milliarden Menschen gesund und nachhaltig ernähren, wenn wir sie erhalten und regenerieren.
- Die schlechte Nachricht ist: Das industrielle Agrar- und Ernährungssystem überlastet die Erde und gefährdet die Ernährungssicherheit weltweit, auch in Europa.
- Das Konzept der Planetary Health Justice beschreibt, was wir tun müssen, um die Grenzen der Erde zu wahren und allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Den hochindustrialisierten Ländern kommt eine besondere Verantwortung zu, denn sie haben am meisten zur Erdüberlastung beigetragen.
Planetary Health – für ein gutes Leben auf einer intakten Erde
Im Jahr 2015 wurde der erste Lancet Planetary Health Report veröffentlicht. Er markierte den Auftakt der neuen Wissenschaftsdisziplin Planetary Health. Sie untersucht, wie zehn Milliarden Menschen gesund und gut auf dieser Erde leben können, ohne sie zu überlasten. In diesem Zug entstanden weltweite Forschungsinitiativen und Berichte, die eine hohe Relevanz für das Ernährungssystem haben, zum Beispiel:
- Der Lancet Countdown ist eine internationale Forschungskoooperation von fast 300 Wissenschaftler*innen unter Leitung des University College London. Die Berichte dokumentieren und verfolgen weltweit Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Klimawandel, die Fortschritte und die Rückschritte.
- Die EAT-Lancet-Kommission hat 2019 den Eat Lancet Report veröffentlicht. Dieser Bericht und zahlreiche Folgestudien beschreiben die Notwendigkeit und Strategien einer globalen Ernährungstransformation.
- Ein Konsortium unter Leitung des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) publizierte 2020 seine Forschungsergebnisse zu Strategien der Ernährungstransformation in unterschiedlichen Regionen der Erde.
- Der Planetary Health Check versteht sich als globale Initiative zur Messung und Erhaltung des Erdsystems.
- Die Welt Kommission für Planetare Gesundheit entwickelte 2024 das Modell der Erdsystemgerechtigkeit.
Der Zustand der Erde: Sechs von neun Belastungsgrenzen überschritten

Durch die Erderhitzung verlassen wir gerade die sichere Klima-Nische, die über Jahrtausende die Entwicklung der Gesellschaft, Wirtschaft und Natur ermöglicht hat, die wir kennen. Die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre ist viel zu hoch und hat mittlerweile Werte erreicht wie vor zwei Millionen Jahren. Auch die Wirkung der Weltraumstrahlung auf die Erde, der sogenannte Strahlungsantrieb, übersteigt das sichere Maß. Das gefährdet nicht nur unsere Gesundheit, die Ernten und die Wirtschaft: Auch in Deutschland werden geschätzt eine Million Menschen von steigenden Meeresspiegeln betroffen sein, wenn wir weiter machen wie bisher.

Von den Nährstoffen Phosphor und Stickstoff ist alles Leben abhängig. Doch die Überdüngung von Feldern und die Freisetzung von Stickoxiden durch industrielle Prozesse und Verbrennungsmotoren hat viel zu viel dieser Nährstoffe in den Umlauf gebracht. Das gefährdet die Böden, die Wasserqualität sowie die Artenvielfalt und führt zu toten Zonen in Gewässern.

In allen Klimazonen der Erde sind die Wälder so stark zurückgegangen, dass wir unterhalb der sicheren Grenze liegen. “Das hat Myriaden von Folgen”, schreibt die Erdkommission: Wälder und Böden speichern weniger CO2, Wasserkreisläufe verändern sich und Wildtiere verlieren ihren Lebensraum. In Europa verlieren wir Wälder durch die Zunahme von Straßen und Baugebieten und durch extreme Trockenheit.

Das Artensterben hat weit über das sichere Maß zugenommen. Auch die Fähigkeit der Biosphäre, ausreichend Nahrung, Futter oder Baumaterialien für die Lebewesen dieser Erde bereit zu stellen, ist völlig überlastet.

Die Freisetzung von Chemikalien, Schadstoffen und Mikroplastik, aber auch von radioaktiven Substanzen, hat das sichere und gesunde Maß weit überschritten.

Die Störung der Süßwasserkreisläufe durch den Menschen überschreitet die sicheren Grenzen. Das gilt für Entnahme von blauem Wasser aus Flüssen, Seen oder Grundwasser, aber auch für den Rückgang von grünem Wasser in Böden und Pflanzen.

Die Ozeane haben bereits viel CO2 aus der Atmosphäre aufgenommen. Das führt zu ihrer Versauerung. Die Überschreitung dieser planetaren Grenze steht kurz bevor. Schon jetzt sind marine Ökosysteme wie Korallenriffe stark gefährdet.

Die Zunahme von Aerosolen (Schwebeteilchen) durch Luftverschmutzung beeinflusst Temperaturen und Niederschlagsmuster. Global gibt es eine positive Entwicklung, lokal aber gegenteilige Trends.

Der Ozonabbau konnte durch internationale Vereinbarungen und Kontrollen gebremst werden. Die Werte liegen aber noch unterhalb der Ozongehalte, die Mitte letzten Jahrhunderts gemessen wurden.
Alles hängt mit Allem zusammen
Neun Prozesse ermöglichen das Leben auf der Erde, so wie wir es kennen. Sechs davon sind bereits überlastet. Diese Systeme beeinflussen sich gegenseitig. Wenn es uns zum Beispiel gelingt, die Klimaerhitzung zu verringern, dann ist das positiv für alle anderen Systeme. Und umgekehrt. Jede Tonne CO2, die wir emittieren, verbleibt über Jahrhunderte in der Atmosphäre und verstärkt den Treibhauseffekt. Das hat negative Folgen für die Wälder, die Wasserkreisläufe und die biologische Vielfalt.
Der grüne Bereich signalisiert gute Lebensbedingungen auf der Erde. Orange bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit von Schäden zunimmt. Die Farbe Rot-Lila kennzeichnet eine starke Überschreitung der Grenzen und führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Destabilisierung des Erdsystems.
Dieses Ernährungssystem ist eine Gefahr für die Ernährungssicherheit
Gut die Hälfte der derzeitigen Nahrungsmittelproduktion weltweit trägt zur Überlastung der planetaren Grenzen bei. Sie führt zum Verlust biologischer Vielfalt, setzt den Ökosystemen zu und verschärft die Wasserknappheit. In Deutschland sind es sogar 60 Prozent der Lebensmittelproduktion, ermittelte das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (siehe Vortrag des Wasserexperten Prof. Dr. Dieter Gerten). Gleichzeitig ist unsere Ernährungsversorgung von den Ökosystemen abhängig, die wir gerade zerstören:
- Genetische Vielfalt: Mehr als 75 Prozent aller Nahrungspflanzen brauchen Insekten für die Bestäubung. Monokulturen und die Abholzung von Wäldern für die Nahrungs- und Futtermittelproduktion treiben jedoch das Artensterben voran. Auch die Überdüngung schadet vielen Arten, denn die meisten Wildpflanzen vertragen keinen Dünger.
- Nährstoffkreisläufe: Die Überlastung von Böden und Gewässern mit Stickstoff und Phosphor in Deutschland wird zu 90 Prozent durch künstliche Düngemittel und die intensive Tierhaltung verursacht, stellte der Sachverständigenrat Umweltfragen in seinem Sondergutachten zu Stickstoff fest.
- Land: Auch in Deutschland leiden die Wälder unter Dürren, Schädlingen und Bränden. Hinzu kommt, dass wir nach Angaben des Umweltbundesamtes jeden Tag immer noch 55 Hektar versiegeln und zwar überwiegend wertvolles Ackerland. Diese Flächen fehlen zur Sicherung der regionalen Ernährungsversorgung und gehen als Wasser- und CO2 -Speicher verloren.
- Erderhitzung: Das Ernährungssystem trägt 25 bis 35 Prozent zur weltweiten Treibhausgasbelastung bei. Selbst wenn alle politisch zugesagten Maßnahmen umgesetzt werden, müssen wir derzeit mit einer globalen Erderhitzung von 1,9 bis 2,6 Grad rechnen. Damit kann es auf dem Festland in Deutschland im Sommer zu Temperaturen von bis zu 50 Grad kommen, so die Vorhersagen des Copernicus Dienstes Klimawandel. Solche Temperaturen gefährden die Ernährungssicherheit. Der Weltklimarat IPCC ging im Jahr 2022 in einem Sondergutachten davon aus, dass zwar künftig in nördlichen Regionen mehr Weizen angebaut werden könnte. Bei Mais, Hirse und Soja hingegen ist weltweit mit Ernteverlusten zwischen neun und 32 Prozent zu rechnen. Bei Gemüse werden die Schäden noch höher eingeschätzt. Ab 46,7 Grad bricht auch die Photosynthese von tropischen Bäumen zusammen, so die Ergebnisse einer neueren Studie im Wissenschaftsjournal Nature.
Erdystemgerechtigkeit: Der faire Anteil für Alle
Wir stehen vor einer moralischen Entscheidung: Gestehen wir allen Menschen ein Recht auf Ernährung zu oder nicht? Ein Weiter so wie bisher verletzt dieses Menschenrecht. Nur mit einer umfassenden Transformation der Energie- und Ernährungssysteme kann sich die Menscheit auch in Zukunft gesund und nachhaltig ernähren. Die Erdkommission für planetare Gesundheit hat dafür im Jahr 2024 eine neue Definition von Gerechtigkeit entwickelt, die Earth System Justice. Sie beschreibt, was wir tun können, um weltweit die planetaren Grenzen einzuhalten und allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Der Überkonsum von ungesunden Lebensmitteln mit einem hohen Fleischanteil beispielweise gefährdet die weltweite Nahrungsversorgung mehr, als das Fehlen von Land. Und wenn wir allein 15 Prozent des kultivierten Landes renaturieren, dann könnten wir 60 Prozent des erwarteten Artensterbens vermeiden und rund 300 Gigatonnen CO2 auf diesen Flächen speichern.
Kommunen und Unternehmen haben eine Schlüsselrolle bei der Energie- und Ernährungstransformation. Denn sie müssen ermitteln, was die Einhaltung der planetaren Grenzen für ihren Wirkungsbereich bedeutet und dies in entsprechende Maßnahmen übersetzen. Den hochindustrialisierten Ländern kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Denn sie haben 92 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verursacht und damit am meisten zur Zerstörung des stabilen Klimas beigetragen. Gleichzeitig verfügen sie über mehr Ressourcen als die am wenigsten industrialisierten Länder, die am stärksten von den Folgen betroffen sind.
Der sichere und gerechte Korridor ist ein klar definierter Raum, in dem die menschliche Entwicklung sicher und gerecht stattfinden kann. Er basiert auf der Anerkennung der Tatsache, dass die natürlichen Ressourcen der Erde, nämlich CO2, Nährstoffe, Wasser und Land, begrenzt sind und gerecht zwischen Mensch und Natur geteilt werden müssen (Gupta et al. 2024:2 Übers. d. Verf.).
Megadürren und Wasserfluten in Europa
“Was gerade geschieht, das ist der Zusammenbruch multipler verletzter Systeme – Systeme, von denen die Menschen fundamental abhängig sind”, stellte der britische Ökonom Jason Hickel im Jahr 2022 fest. Im Jahr 2024 veröffentlichte die Europäische Umweltagentur eine Analyse zu den Klimarisiken in Europa, denn der europäische Kontinent erwärmt sich am schnellsten von allen Kontinenten. Europa ist nicht ausreichend auf die Klimarisiken vorbereitet, stellte die Behörde fest. Sie rechnet mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, die Landwirtschaft, die Infrastrukturen und die Wirtschaft.
Klimarisiken können sich kaskadenartig von einem System oder einer Region auf andere übertragen (...). Beispiele hierfür sind extreme Dürren, die zu Wasser- und Ernährungsunsicherheit, Störungen kritischer Infrastrukturen sowie Bedrohungen für die Finanzmärkte und die Stabilität führen (Europäische Umweltagentur 2024: 3).
Unsere Ernährungssicherheit hängt also von der Reduktion der Treibhausgasemissionen in allen Sektoren ab, nicht nur in der Land- und Ernährungswirtschaft. Auch bei der Energieerzeugung, in der Industrie, im Verkehr und bei der Wärmeversorgung von privaten und öffentlichen Gebäuden werden nach wie vor zuviel Treibhausgase emittiert. Je schneller diese Sektoren unabhängig von fossilen Rohstoffen werden, desto größer ist die Chance, dass es in Zukunft noch klimatische Bedingungen gibt, unter denen ausreichend Nahrung wächst.
Viel mehr Obst, Gemüse, Nüsse und Hülsenfrüchte – und zwar nachhaltig
Wir können 10 Milliarden Menschen gesund und nachhaltig ernähren, wenn wir das Ernährungssystem umbauen. Zu den großen Kehrtwenden, die in umfangreichen Studien beschrieben wurden, gehören:
- Ökologische Intensivierung: Dafür kombiniert man agrarökologische Methoden wie Mulchen oder vielfältige Kulturen auf dem Feld mit technischen Innovationen, zum Beispiel smarten Bewässerungssystemen.
- Mehr Pflanzen aufs Feld: Derzeit produzieren wir weder welt- noch deutschlandweit genügend nachhaltige, pflanzliche Lebensmittel. Auf unseren Feldern müssen dafür doppelt so viel Obst und Gemüse, ein Vielfaches an Nüssen und Hülsenfrüchten wachsen und viel weniger Tiere gehalten werden. Die leben vorzugweise auf Weiden und unterstützen die Nährstoffversorgung der Böden, Pflanzen und Menschen.
- Ernährungsumfelder verbessern: Geschäfte, Kitas, Schulen und Altenheime, Tankstellenkioske und Kantinen müssen ihr Lebensmittelangebot so verändern, dass alle Menschen, unabhängig vom Geldbeutel, Zugang zu gesunden Lebensmitteln aus einer intakten Natur haben.
- Damit das gelingt, müssen die politischen Hebel in Richtung Nachhaltigkeit umgestellt werden. Die Produktion von Lebensmitteln unter Überlastung der planetaren Grenzen darf sich nicht mehr lohnen. Denn in Wahrheit zahlen wir viel mehr für Lebensmittel als das Preisschild vermuten lässt. Die EAT-Lancet-Kommission empfiehlt außerdem die Einschränkung von Werbung für ungesunde und nicht nachhaltige Produkte.
- Bildungsoffensive für Schlüsselpersonen: Ernährungsbildung für Kinder ist zwar wichtig, aber zu langsam. Die EAT-Lancet-Kommission empfiehlt daher eine Bildungsoffensive für Schlüsselpersonen wie Köchinnen und Köche sowie Mitarbeitende aus dem Lebensmittelhandwerk und der Lebensmittelindustrie, damit sie attraktive und leckere Gerichte und Produkte herstellen, die die planetaren Grenzen wahren.
Lebensmittelverschwendung: Natürlich dürfen möglichst keine Lebensmittel mehr vernichtet werden. Die Menge der Lebensmittelabfälle muss mindestens unter 50 Prozent sinken, verglichen mit heute.

Hitzeprognose für Deutschland
Der Meteorologe Karsten Schwanke vom ARD-Wetterkompetenzzentrum erklärt anlässlich des Weltklimaberichtes 2023 wie der Klimawandel das Wetter verändert.
Wenn Sie externe Inhalte von YouTube aktivieren, werden Daten automatisiert an diesen Anbieter übertragen.
Mehr Informationen
Mehr zum Thema lesen Sie in unserem Artikel Die Klimakrise bedroht die Ernährungssicherheit.
Vortrag: Vom Problem zur Lösung
Prof. Dr. Dieter Gerten vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) erklärte in seiner Keynote beim 4. BZfE-Forum „Essen wird anders – Ernährung und die planetaren Grenzen“, warum unser Ernährungssystem die Belastungsgrenzen der Erde überschreitet und wie wir das ändern können.
Wenn Sie externe Inhalte von YouTube aktivieren, werden Daten automatisiert an diesen Anbieter übertragen.
Mehr Informationen
- Cesar et al (2024): Planetary Health Check Report (2024) Pressemeldung zum ersten Planetary Health Check unter Federführung des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung
- Corpernicus Climate Change Service 2025: Copernicus – 2024 is the first year to exceed 1.5 °C above pre-industrial level Pressemeldung zum Jahresbericht 2025 des europäischen Copernikus Klimawandel Service
- EUA (2024): Europäische Bewertung der Klimarisiken Zusammenfassung des Berichtes zu Klimarisiken der Europäischen Umweltbehörde
- Gupta et al. (2024) A just world on a safe planet: Bericht der Erdkommission für planetare Gesundheit zur Erdsystemgerechtigkeit
- Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) (2022). Food security. Sonderbericht des Weltklimarates zur Lebensmittelsicherheit
- PIK (2020): Die Welt ernähren, ohne den Planeten zu schädigen, ist möglich. Pressemeldung des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung
- SRU (2015): Stickstoff: Lösungsstrategien für ein drängendes Umweltproblem. Sondergutachten des Sachverständigkenrates Umweltfragen zu Stickstoff
SRU (2024): Suffizienz als Strategie des Genug. Sondergutachten des Sachverständigenrates Umweltfragen zu Suffizizenz