Deutschland zählt geologisch bedingt zu den Jodmangelregionen. Die WHO hat uns erst 2024 als „mildes Jodmangelgebiet“ charakterisiert. Welche Kriterien liegen der Einordnung zugrunde? Wie wird die >Versorgungslage einer Bevölkerung bestimmt? Und wie erfolgt die individuelle Bedarfsermittlung?
Anlass für diese Fragen bieten auch die >aktualisierten Jod-Zufuhrempfehlungen der Deutschen und der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung (DGE/ÖGE). Die Referenzwerte sind für alle Altersgruppen, außer für Säuglinge, geringer als zuvor. Gibt die WHO Fehlalarm? Wir haben Antworten.
Ein breites Angebot jodhaltiger Lebensmittel – auch für Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren - ist zentrale Voraussetzung für eine gute Jodversorgung. Genau daran aber mangelt es in Deutschland. Immer weniger Lebensmittel aus handwerklicher und industrieller Produktion werden mit Jodsalz hergestellt, wie das aktuelle >Produktmonitoring des Max Rubner-Instituts zeigt. Woran liegt das? Es war doch einmal anders.
In diesem Newsletter widmen wir uns der Situationsbestimmung, der Ursachenanalyse und den >verschiedenen Möglichkeiten, die auf individueller Ebene und im Public-Health-Ansatz dazu beitragen können, die Jodversorgung in Deutschland zu verbessern. Schließlich kann sich eine latente Unterversorgung mit Jod ungünstig auf unsere individuelle mentale und körperliche Leistungsfähigkeit sowie in der Summe auf unsere gesamtgesellschaftliche Produktivität auswirken.
Natürlich haben wir auch wieder ein >Interview für Sie im Gepäck sowie weiterführende Quellen. Und auch auf unserer Website >>bzfe.de finden Sie Informatives zum Thema.
Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Lesen.
i. A. Ihre Birgit Jähnig
Aus der Wissenschaft
Die neuen Jod-Zufuhrempfehlungen für Deutschland und Österreich
Weniger ist mehr?
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) die Referenzwerte für die Jodzufuhr überarbeitet. Die aktualisierten Zufuhrempfehlungen liegen für alle Altersgruppen – außer für Säuglinge - niedriger als zuvor.
Niedrigere Jod-Zufuhrempfehlungen – warum?
Bei der vorigen Ableitung der Jod-Zufuhrempfehlungen wurde auf den durchschnittlichen physiologischen Bedarf ein Zuschlag gelegt, um der damaligen Jodunterversorgung in größeren Teilen der Bevölkerung Deutschlands und Österreichs entgegenzuwirken. Dieser Zuschlag entfällt nun, da sich die wissenschaftliche Betrachtung geändert hat: Die Ableitung von Referenzwerten basiert nach aktuellem internationalem Vorgehen ausschließlich auf dem physiologischen Bedarf von Menschen mit ausgeglichener Nährstoffbilanz. Liegt individuell eine Unterversorgung vor, muss diese mit entsprechenden Dosierungen unter ärztlicher Betreuung behoben werden. Die niedrigere Empfehlung zur Jodaufnahme bedeutet also NICHT, dass die Menschen in Deutschland nun weniger Jod brauchen oder die >Versorgungslage in Deutschland zufriedenstellend ist.
Ableitung von Zufuhrempfehlungen
Der durchschnittliche physiologische Bedarf bildet international die Basis der Ableitung von Zufuhrempfehlungen für Nährstoffe für gesunde Personen. Er deckt rein rechnerisch den Bedarf von etwa 50 % der Gesamtbevölkerung. Um die Versorgung fast aller Menschen (95 %) einer Bevölkerung zu sichern, wird aus dem statistischen Variationskoeffizient (bei Jod: 20 %) ein Zuschlag berechnet (bei Jod: 40 %). Dieser bildet Abweichungen im Bedarf der Individuen vom Mittelwert ab und wird zum durchschnittlichen Bedarf addiert. So ergibt sich der Referenzwert für eine definierte Bevölkerungsgruppe, z. B. schwangere Frauen. Für die individuelle Versorgung ist die empfohlene Zufuhr nur ein Orientierungswert, um die ausreichende Aufnahme des jeweiligen Nährstoffs näherungsweise sicherzustellen.
Auch bei der Ableitung der neuen Jod-Zufuhrempfehlungen stützten sich DGE und ÖGE auf Bilanz- und Radiojodstudien sowie auf die weitere wissenschaftliche Studienlage. Alle Ergebnisse bestätigen die bisherigen Werte für den durchschnittlichen physiologischen Bedarf von 95 Mikrogramm pro Tag (µg/d) für Erwachsene, aus dem sich die Zufuhrempfehlung von 150 µg/d für Erwachsene ergibt.
Mit dieser Jodzufuhr kann eine normale Schilddrüsenfunktion aufrechterhalten und eine mittlere Jodausscheidung mit dem Urin (UIC) von über 100 µg/L erzielt werden. Letzteres Kriterium hatte die WHO für eine ausreichende Jodzufuhr einer erwachsenen Population definiert und eine entsprechende Jod-Zufuhrempfehlung formuliert. Für andere Altersgruppen galten und gelten entsprechend angepasste Werte. Bei adäquater durchschnittlicher Versorgung bleibt in allen Altersgruppen das Auftreten von Mangelsymptomen gering (z. B. Strumaprävalenz < 5 %).
Die aktualisierte Jodempfehlung von 150 µg/d für Erwachsene in Deutschland und Österreich entspricht der Empfehlung der WHO und der Schweiz, wo aufgrund der jahrzehntelangen Jodsalzprophylaxe das durchschnittliche Versorgungsniveau der Bevölkerung besser ist als hierzulande. Auch in Österreich gilt die Jodversorgung inzwischen als adäquat. Der mediane UIC liegt dort bei Kindern bis 15 Jahre bei 120 µg/L Urin und bei Erwachsenen bei 154 µg/L.
Übersicht 1: Zufuhrempfehlungen für das essenzielle Spurenelement Jod im Vergleich (DGE 2025)
Altersgruppen
Neue Empfehlungen DGE/ÖGE (µg/d)
Bisherige Empfehlungen DGE/ÖGE (µg/d)
Empfehlungen WHO/Schweiz (µg/d)
Säuglinge 0-<4 Monate
80
0–<4 Monate: 40
50
Säuglinge 4-<12 Monate
80
4–<12 Monate: 80
50
1-<4 Jahre
90
100
90
4-<7 Jahre
90
120
90
7-<10 Jahre
120
140
120
10-<13 Jahre
120
180
120
13-<15 Jahre
150
200
150
15-<25 Jahre
150
200
150
25-<51 Jahre
150
200
150
51-<65 Jahre
150
180
150
≥ 65 Jahre
150
180
150
Schwangere
220
230
200
Stillende
230
260
200
Höhere Empfehlungen für Neugeborene
Die Empfehlung für Neugeborene (< 4 Monate) wurde verdoppelt und beträgt nun 80 µg/d. Erstmals konnte in einer randomisierten doppelblinden Dosis-Wirkungs-Studie mit Schweizer Säuglingen ein durchschnittlicher Bedarf in Höhe von 10,6 µg/kg Körpergewicht und Tag ermittelt werden, der als Basis der Empfehlung dient. Für Säuglinge über 4 Monate gilt nach wie vor eine Jod-Zufuhrempfehlung von 80 µg/d. Die Werte tragen u. a. der besonders hohen Schilddrüsenhormon-Turnoverrate von Säuglingen Rechnung: In der ersten Lebensphase findet ein intensives Wachstum und eine rasche Reifung zahlreicher Organsysteme, v. a. des zentralen Nervensystems, statt. Neugeborene produzieren pro Kilogramm Körpergewicht etwa drei- bis viermal mehr Thyroxin (T4) als Erwachsene.
Konsequenzen für die Ernährungspraxis
Empfehlungen zur Jodsupplementation
Ergänzend zu den aktualisierten Jod-Zufuhrempfehlungen gelten folgende Handlungsempfehlungen für vulnerable Bevölkerungsgruppen:
• Schwangeren und stillenden Frauen empfiehlt die DGE zusätzlich zu einer jodliefernden Ernährung eine Supplementation mit 100–150 µg Jod/d. • Säuglinge, die gestillt werden und selbst zubereitete Breie erhalten, sollten täglich 50 µg Jod als Ergänzung erhalten. • Menschen, die vegan leben, empfiehlt die DGE, zuhause konsequent jodiertes Speisesalz zu verwenden, regelmäßig Algen mit moderatem Jodgehalt (z. B. Nori-Algen) sowie mit Jodsalz hergestellte und mit Jod angereicherte Lebensmittel (z. B. Wurst- und Fleischalternativen oder Milchalternativen) zu wählen. Wenn nicht ausreichend jodhaltige Lebensmittel verzehrt werden, gilt die Empfehlung, in ärztlicher Absprache ein Jodpräparat mit 100 µg/d einzunehmen. Denn Studien zeigen, dass Menschen, die sich vegan ernähren, oft bis zu 40 % weniger Jod aufnehmen als Menschen, die auch tierische Lebensmittel essen.
Wichtig für die Schilddrüse ist zudem eine bedarfsgerechte Versorgung mit Selen, Eisen und Vitamin A. Diese Nährstoffe sind an der Synthese und am Metabolismus der Schilddrüsenhormone beteiligt. Eine unzureichende Versorgung kann einen bestehenden Jodmangel noch verschärfen. Wichtige Bausteine zur Deckung des Jodbedarfs
• Jodiertes Speisesalz. 6 g Jodsalz am Tag – ein gestrichener Teelöffel – decken etwa 120 µg Jodzufuhr ab. Das sind gut zwei Drittel des Referenzwertes eines Erwachsenen. Deshalb gilt die Empfehlung, zuhause konsequent Jodsalz zu nutzen. Aktuell liefert jodiertes Speisesalz laut der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) etwa 42 % der beobachteten Jodzufuhr. Jod, das im Kochwasser von z. B. Nudeln, Reis und Kartoffeln enthalten ist, geht in die Lebensmittel über und kann so zur Jodversorgung beitragen.
• Natürlicherweise Jod liefernde Lebensmittel wie Seefisch, Meeresfrüchte und Algen. Beim Verzehr von Algenprodukten ist unbedingt auf deren Jodgehalt (<20 mg/kg) sowie die Verzehrempfehlung auf der Verpackung zu achten. Vor allem Braunalgen wie Wakame oder Kombu können extrem jodreich sein.
• Durch Tierfutteranreicherung Jod liefernde Lebensmittel wie Milch, Milchprodukte und Eier. In der konventionellen Tierhaltung ist diese Maßnahme weit verbreitet. Die Bio-Branche nutzt sie hingegen seltener, obwohl der Einsatz von Vitaminen und Mineralstoffen, einschließlich Jod, gemäß EU-Ökoverordnung 2018/848 in Bio-Futtermitteln grundsätzlich vorgesehen ist. Deshalb wird empfohlen, täglich Milch- und Milchprodukte zu wählen und ein Ei pro Woche zu ergänzen.
• Mit Jodsalz hergestellte Lebensmittel wie Brot, Wurst, pflanzliche Fleischalternativen und Fertiggerichte. Handwerklich und industriell hergestellte Lebensmittel können gute Jodlieferanten sein, wenn sie mit Jodsalz hergestellt werden. Bei verpackten Lebensmitteln informiert die Zutatenliste, ob das Produkt Jodsalz enthält. Im losen Verkauf gibt das Personal Auskunft.
• Jodangereicherte Lebensmittel wie pflanzliche Milchalternativen. Laut Marktcheck 2024 der Verbraucherzentrale NRW (VZ NRW) sind aktuell 29 % der konventionell hergestellten Milchalternativen angereichert; von 160 Pflanzendrinks enthielten nur 11 einen Jodzusatz. Von den Bio-Produkten enthielt keines Jod oder andere Zusätze, da eine Vitamin- und Mineralstoffanreicherung in Bio-Lebensmitteln gesetzlich nicht vorgesehen ist. Deshalb gilt die Empfehlung, angereicherte Milchalternativen zu wählen, vor allem, wenn sie Milch und Milchprodukte ganz oder zum Großteil ersetzen.
Dr. Birgit Jähnig, BLE; Dr. Christina Rempe, Berlin
Wie gut ein Mensch mit Jod versorgt ist, hängt maßgeblich von seiner Ernährung ab. Jodsalz trägt neben maritimen Lebensmitteln, Milch(produkten) und Eiern wesentlich zur Bedarfsdeckung bei.
Seefisch, Meeresfrüchte wie Garnelen und Muscheln sowie Algen sind in Deutschland die einzigen Lebensmittel, die natürlicherweise reich an Jod sind. Jodiertes Speisesalz ist ebenfalls ein wichtiger Pfeiler für die Bedarfsdeckung. Grundnahrungsmittel wie Obst, Gemüse oder Getreideprodukte enthalten aufgrund jodarmer Böden kaum Jod. Auch Trinkwasser ist in Deutschland meist jodarm (unter 10 µg/L). Bei Kuhmilch und Eiern können die Jodgehalte über die Tierfütterung erhöht werden. Die Jodgehalte können allerdings aufgrund unterschiedlicher Fütterungsmethoden stark schwanken (z. B. Stall- oder Weidehaltung, Anteil jodangereicherten Kraftfutters, Angebot eines Salzlecksteins mit/ohne Jod). Auch die Unterschiede im Jodgehalt zwischen biologisch und konventionell erzeugten landwirtschaftlichen Produkten sind auf unterschiedliche Fütterungsweisen zurückzuführen. Handwerklich oder industriell hergestellte Lebensmittel wie Brot, Fleisch- und Wurstwaren sowie Convenience-Produkte können unter Verwendung von jodiertem Speisesalz hergestellt werden. Insgesamt aber scheinen diese Jodquellen gegenwärtig nicht auszureichen, um eine sichere Versorgung der Bevölkerung in Deutschland zu gewährleisten.
Wie wird die Jodversorgung der Bevölkerung ermittelt?
Daten zur Jodversorgungslage geben Auskunft, wie gut eine Bevölkerung im Durchschnitt ihren Jodbedarf decken kann. Dieser ist schwer zu bestimmen, da er von Mensch zu Mensch und von Tag zu Tag stark schwanken kann. Er hängt von vielen inneren (z. B. Alter, Geschlecht, Ernährungs- und Gesundheitszustand) und äußeren Faktoren (z. B. Klima, körperliche Aktivität, Gene) ab. Zudem kann sich der Körper innerhalb gewisser Grenzen an ein unterschiedliches Jodangebot in der Nahrung anpassen. Je nachdem, ob es um den individuellen Jodbedarf oder den durchschnittlichen Bedarf von Bevölkerungsgruppen geht, gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen. Der individuelle Bedarf eines Menschen lässt sich nur experimentell aus definierten und kleinen Stichproben einer Bevölkerungsgruppe (z. B. schwangere Frauen) mithilfe von Bilanzstudien und Studien mit radioaktiven Biotopen bestimmen. Der durchschnittliche Jodbedarf wird indirekt über die Messung der Jodausscheidung im Urin ermittelt und dient zur Ableitung von Zufuhrempfehlungen sowie zur Beurteilung der Versorgungslage. Die Jodversorgungslage einer Bevölkerungsgruppe wird entsprechend der Empfehlung der WHO anhand der medianen Jodkonzentration im Spontanurin (UIC) beurteilt. Ernährungserhebungen sind aus verschiedenen methodischen Gründen nicht dafür geeignet, z. B. erschweren stark schwankende Jodgehalte in Lebensmitteln sowie die Unmöglichkeit, die im Haushalt verwendeten Salzmengen zu erfassen, eine Beurteilung zusätzlich. Ein UIC von über 100 µg/L für alle Bevölkerungsgruppen außer Schwangeren (hier gilt ein UIC von 150-249 µg/L) weist laut WHO auf eine ausreichende Jodversorgung mit der empfohlenen Jodzufuhr von etwa 150 µg/d hin.
Was sagen die Zahlen? Ergebnisse für Deutschland
Nach Erhebungen des Robert Koch-Instituts (RKI) weisen 32 % der Erwachsenen ein erhöhtes Risiko für einen Jodmangel auf. Unter Kindern und Jugendlichen liegt der Anteil bei 44 % und stieg, verglichen mit den Ergebnissen der Vorläuferuntersuchung, deutlich an. Vor allem für Kinder im Alter von 1-2 Jahren ist Jod laut KIESEL-Studie als kritischer Nährstoff einzustufen. Rund 45 % der kleinen Mädchen und 37 % der kleinen Jungen können ihren durchschnittlichen Jodbedarf nicht decken. Das ist potenziell mit Folgen für Wachstum sowie körperliche und schulische Leistungen assoziiert. Die mittlere Jodausscheidung hierzulande beträgt laut Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS-Studie; Jodmonitoring) des RKI für erwachsene Männer 69 µg/L, für Frauen 54 µg/L. Kinder und Jugendliche scheiden im Schnitt 88,8 µg Jod/L Urin aus. Diese Werte weisen Deutschland gemäß WHO-Kriterien als mildes Jodmangelgebiet aus. Die aus der Jodausscheidung abgeleitete geschätzte mittlere Jodaufnahme über die Nahrung beträgt laut RKI für Erwachsene durchschnittlich 129 µg/d, für Kinder durchschnittlich 87 µg/d. Die mediane Gesamtjodzufuhr für alle Altersgruppen beträgt 126 µg/d. Jodiertes Speisesalz trägt allein 42 % (54 µg/d) zur durchschnittlichen medianen Jodaufnahme bei. Berechnungen der Universität Bonn aus 2019 zur täglichen Jodaufnahme aus Lebensmitteln ohne Berücksichtigung von Jodsalz stehen in Einklang mit diesen Befunden: Danach nehmen Erwachsene knapp 74 µg Jod/d über Lebensmittel auf. Das ist nicht einmal die Hälfte der 150 µg Jod, die nach den aktualisierten Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für Erwachsene täglich wünschenswert sind.
Ohne Jodsalz geht es nicht
Bereits seit den 1980er-Jahren lautet die Empfehlung, mit Jod angereichertes Speisesalz zu verwenden – im Privaten wie in der Lebensmittelherstellung. Andernfalls ist es kaum möglich, den durchschnittlichen Jodbedarf zu decken. Diese >Strategie gilt andernorts wie etwa in der Schweiz als Erfolgsgeschichte. Durch sie verbesserte sich auch in Deutschland die Jodversorgung – zumindest zwischenzeitlich.
Aufgrund erneut wenig zufriedenstellender Versorgungszahlen rief das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) - heute Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH) - 2023 die >Informationsoffensive „Wenn Salz, dann Jodsalz“ ins Leben. Sie will die Bevölkerung einschließlich Lebensmittelherstellung, Lebensmittelhandel und Außer-Haus-Verpflegung wieder für die Verwendung von Jodsalz sensibilisieren.
Dr. Birgit Jähnig, BLE; Dr. Christina Rempe, Berlin
Deutschland gilt nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) heute wieder als nicht ausreichend mit Jod versorgt - wie schon in den 1980er-Jahren. Dazwischen hatte sich die Versorgungssituation aufgrund der damals etablierten Jodmangelprophylaxe verbessert.
Im Jahr 2016 erfasste das Max Rubner-Institut (MRI) im Rahmen einer Basiserhebung erstmals den Energie- und Nährstoffgehalt von rund 12.500 Fertiglebensmitteln aus 18 unterschiedlichen Produktkategorien. Seit 2019 werden die Erhebungen jährlich mit unterschiedlichen Produktgruppen wiederholt. Die Dokumentation von Zutatenlisten erlaubt auch eine Abschätzung der Verwendung von Jodsalz in ausgewählten Produktgruppen.
Jodsalz ist seit 1959 in Deutschland verfügbar - zunächst ausschließlich als diätetisches Lebensmittel. Seit 1989 ist es Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs und kann im Privathaushalt, in der Lebensmittelherstellung und im Außer-Haus-Verzehr auf freiwilliger Basis eingesetzt werden.
Ein Vergleich der Jodsalzverwendung zwischen der Basiserfassung und den Folgeerhebungen bis 2022 des MRI zeigt ein uneinheitliches Bild. Insgesamt schwankt der Einsatz von Jodsalz zwischen den einzelnen Produktgruppen stark - 2016 zwischen 2 % bei kalten Soßen und 48 % bei Wurstwaren. Zwischen 2016 und 2022 zeigt sich innerhalb einiger Produktgruppen (z. B. bei Suppen, Fleischwaren oder Nudelsoßen) ein abnehmender Trend, der sich offenbar bis heute fortsetzt. So belegen die Daten des jüngst veröffentlichten Produktmonitorings, dass heute nur wenige Lebensmittelunternehmen Jodsalz in der Produktion einsetzen. In der Produktgruppe der kalten Soßen wie Ketchup oder Mayonnaise beispielsweise enthielten 2024 nur 1,3 % Jodsalz. Bei den Fleisch- und Wurstersatzprodukten lag der Anteil in 2024 bei insgesamt 5,7 %; in der Teilstichprobe der Bio-Produkte waren es 3,4 %. In beiden Produktkategorien ging der Einsatz von Jodsalz im Vergleich zur Erhebung aus 2021 zurück. In den anderen Warengruppen geht die Entwicklung ebenfalls nicht in die gewünschte Richtung: 2023 wurden knapp 10 % der Brote und Kleingebäcke mit Jodsalz hergestellt, bei Wurstwaren 35 %, bei Fleischwaren knapp 15 % der Produkte. Alle Werte fielen geringer aus als in den Vorerhebungen. Nach einer statistischen Markterhebung der Universität Gießen bezogen auf das Jahr 2018 waren seinerzeit durchschnittlich 29 % der verarbeiteten, salzhaltigen Lebensmittel mit Jodsalz hergestellt.
Die Tatsache, dass die Menschen in Deutschland laut Studie zur Gesundheit Erwachsener (DEGS-Studie) den Großteil des verzehrten Salzes (ca. 80 %) aus Brot, Fleisch- und Wurstwaren, Käse sowie Fertiggerichten aufnehmen, unterstreicht die Bedeutung der Jodsalzverwendung in der Lebensmittelherstellung für die Jodversorgung der Bevölkerung.
Wissenslücken und Unsicherheiten weit verbreitet
Mögliche Ursachen der zurückgehenden Verwendung könnten in gesundheitlichen, warenkundlichen und technologischen Wissenslücken und Unsicherheiten bei den Herstellerbetrieben liegen. Einige Betriebe könnten zudem eine ablehnende Verbraucherhaltung gegenüber jodiertem Speisesalz in Betracht ziehen. Einen denkbaren Grund dafür liefert das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in seinem Abschlussbericht zur Abgrenzung von Hazard- und Risikokommunikation"… die in der Öffentlichkeit weit verbreitete negative Einstellung zur Chemie… äußert sich vor allem in der Ablehnung von Zusatzstoffen in Lebensmitteln, die mit dem negativ besetzten Begriff „Chemikalie“ assoziiert werden. An der Entstehung und Verbreitung solcher Einstellungen, Ängste und Missverständnisse … sind Massenmedien als Hauptinformationsquelle für den Verbraucher mitverantwortlich."
Ablehnende Verbraucherhaltung gegenüber Jodsalz: Fakt oder Vermutung?
Eine Online-Befragung der Universität Gießen zur Verbrauchereinstellung gegenüber Jodsalz aus 2018 weist als Ursache für die rückläufige Jodversorgung eher ein geringes Problembewusstsein gepaart mit unzureichendem Wissen über Zusammenhänge zwischen Jodsalz, Jodaufnahme und Gesundheit aus. Denn um die Verbraucherakzeptanz von Jodsalz scheint es einer aktuellen repräsentativen Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag des Arbeitskreises Jodmangel (AKJ) gar nicht so schlecht bestellt zu sein: Danach verzichten nur 7 % der Befragten auf den Kauf von jodiertem Speisesalz, weil sie eine Anreicherung ablehnen. Lediglich 3 % kaufen aus diesem Grund keine Produkte, die unter Verwendung von Jodsalz hergestellt wurden. Die Umfrage stützt gleichzeitig die Gießener These des mangelnden Problembewusstseins: So entscheiden sich gerade einmal 41 % der Befragten bewusst für den Kauf von Jodsalz für den eigenen Haushalt. Beim Kauf von Convenience-Produkten prüfen der Umfrage zufolge gerade einmal 8 %, ob diese mit Jodsalz hergestellt wurden.
Kennzeichnungsvorgaben schmälern Erfolg der Jodmangelvorsorge
Laut EU-Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) muss jede Zutat, so auch jodiertes Speisesalz, im Zutatenverzeichnis verpackter Produkte aufgeführt werden. Dabei gilt Jodsalz als zusammengesetzte Zutat. Das heißt, es muss unter Nennung seiner jeweiligen Einzelzutaten aufgeführt werden. Die Folge: Neben dem Begriff „Jodsalz“ oder „jodiertes Speisesalz“ stehen auch die Bezeichnungen der verwendeten Mineralstoffverbindungen, z. B. Natriumjodid oder Kaliumjodat. Herstellende könnten eventuell - in Übereinstimmung mit dem BfR - die Auffassung vertreten, dass chemisch anmutende Begriffe bei vielen Menschen eine ablehnende Haltung wecken. Abhilfe könnte daher die Wiedereinführung der vereinfachten Kennzeichnung, etwa die reine Angabe „Jodsalz“, schaffen. Tatsächlich war diese vor dem Inkrafttreten der LMIV im Jahr 2011 geltende Rechtslage. Die Reform des Kennzeichnungsrechts könnte den Einsatz von Jodsalz konterkariert haben.
Neue Ernährungstrends und ihre Folgen
Immer mehr Menschen in Deutschland leben vegetarisch oder vegan. In der Folge geht der Konsum von Milch und Milchprodukten als wichtige Jodquelle zurück. Laut BMEL-Ernährungsreport 2024 wuchs seit 2020 der Anteil der Menschen, die täglich zu vegetarischen oder veganen Alternativprodukten greifen, von 5 % auf 10 %. Damit gibt es eine wachsende Zahl an Menschen, für die natürlicherweise jodliefernde Lebensmittel nur eingeschränkt oder gar nicht in Frage kommen. Der Verzicht auf tierische Lebensmittel kann laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) zu einer Jodversorgungslücke von 30-40 % führen. Es braucht also alternative Jodquellen. Das könnten z. B. Alternativprodukte zu Fleisch und Wurst sein, die aber bislang nur selten unter Verwendung von Jodsalz hergestellt werden.
Dr. Birgit Jähnig, BLE; Dr. Christina Rempe, Berlin
Höherer Jodierungsgrad von Speisesalz – Ergebnisse der Modellierungsstudie
Fragen an Frau Dr. Anke Ehlers, Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)
Frau Dr. Ehlers arbeitet seit 2007 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im BfR. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit dem Thema Jod, v. a. im Hinblick auf die Versorgungslage und Aufnahme des essenziellen Spurenelements in Deutschland. Zu berücksichtigen ist dabei eine mögliche Über- wie auch Unterversorgung. Bei Jod steht eindeutig das Risiko der Unterversorgung im Vordergrund.
Frau Dr. Ehlers, welche Bevölkerungsgruppen sind Ihres Wissens besonders sensibel für eine Jodunterversorgung hierzulande und warum?
Besondere Bedeutung hat die ausreichende Jodversorgung während der Schwangerschaft und Stillzeit, denn eine Unterversorgung der Mutter kann gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen beim (werdenden) Kind zur Folge haben. Auch beim vollständigen oder teilweisen Verzicht auf tierische Lebensmittel wie Fisch, Milch und Eier ergibt sich ein erhöhtes Risiko für eine Unterversorgung mit Jod. Das gilt auch für Menschen, die aufgrund einer Kuhmilch- oder Fischallergie oder einer Laktoseintoleranz entsprechende Lebensmittel meiden. Eine unzureichende Jodversorgung kann durch jahrelange Verwendung oraler Kontrazeptiva verstärkt werden. Diese führen zu einer Steigerung der Synthese der Schilddrüsenhormone, wodurch sich der Jodumsatz erhöht. Auch bei Rauchenden besteht ein höheres Risiko für eine Jodunterversorgung, da das Thiocyanat aus dem Rauch den Jodtransport in die Schilddrüse hemmt.
Für wie sinnvoll halten Sie eine flächendeckende Erhöhung des Jodierungsgrads von jodiertem Speisesalz, z. B. auf 30 mg Jod/kg Salz? Was gibt es bei der Umsetzung einer solchen Maßnahme zu bedenken?
Vor einigen Jahren haben wir entsprechende Szenarien für die deutsche Bevölkerung modelliert und eine mögliche Jodüberversorgung für alle Altersgruppen berücksichtigt. Zunächst haben wir anhand verschiedener Erhebungsmethoden die Versorgungslage der deutschen Bevölkerung mit Jod geprüft und Risikogruppen für eine unzureichende Jodzufuhr identifiziert. Insgesamt lag bei einem Teil der Erwachsenen und Kinder die Jodaufnahme unterhalb des mittleren geschätzten Bedarfs. Bei Frauen im gebärfähigen Alter und bei Mädchen nahezu jeden Alters war dieser Anteil besonders hoch. Eine sachgerechte Maßnahme sollte also v. a. bei den Risikogruppen eine Verbesserung der Jodzufuhr bewirken. Zunächst haben wir modelliert, wie viel Jod aus Jodsalz aufgenommen wird. Bei einem angenommenen Jodsalz-Verwendungsgrad von durchschnittlich etwa 30 % bei der Herstellung von Lebensmitteln und einem Jodhöchstgehalt von 25 mg/kg Salz, ergab sich bei Erwachsenen im Median eine tägliche Zufuhr von etwa 50 µg Jod aus Jodsalz inklusive der Jodsalzverwendung im Haushalt. Mit diesem Wert wurde die Erhöhung des Jodgehalts von 25 mg auf 30 mg/kg Salz bei gleichzeitiger 10%iger Reduktion des Salzverzehrs berechnet. Die potenzielle Jodgesamtaufnahme errechnete sich aus der jeweiligen modellierten salzbedingten Jodaufnahme und dem konstanten Anteil des in anderen Lebensmitteln natürlicherweise enthaltenen Jods. Das Ergebnis: Eine Erhöhung des Jodgehalts um 5 mg/kg Salz kann eine verringerte Jodaufnahme aufgrund einer 10%igen Reduktion des Salzverzehrs kompensieren und stellt beim gegenwärtigen Verwendungsgrad von jodiertem Speisesalz von ca. 30 % in der Lebensmittelherstellung und 84 % im Privathaushalt in punkto Sicherheit kein Problem dar. Allerdings würde die Jodzufuhr insgesamt noch nicht ausreichen, um den Anteil an Frauen und Mädchen mit unzureichender Jodzufuhr wesentlich zu verringern. Zusätzlich müsste die Verwendung von Jodsalz in der Lebensmittelherstellung deutlich zunehmen. Ergriffene Maßnahmen sollten hinsichtlich des Nutzens - aber auch in punkto Sicherheit - regelmäßig überprüft werden.
Welche Lebensmittel des täglichen Verzehrs zusätzlich zu Speisesalz kämen aus Ihrer Sicht für eine flächendeckende Anreicherung mit Jod in Frage?
In Deutschland wird zur Jodanreicherung von Lebensmitteln die Verwendung von jodiertem Speisesalz empfohlen. Eine direkte Anreicherung von Lebensmitteln mit Jod ist aus Sicht des BfR nicht zu empfehlen, da das Risiko für eine unkontrollierte Jodzufuhr zunimmt. Das kann langfristig gesundheitliche Risiken bergen. Da Kuhmilch mit eine der wichtigsten Jodquellen darstellt, könnten jedoch Pflanzendrinks, die als 100%ige Alternative zu Kuhmilch verwendet werden, ggf. direkt angereichert werden. Die Jodanreicherung sollte sich in diesen Fällen an den durchschnittlichen Jodgehalten der Kuhmilch (ca. 120 µg/L) orientieren. Ähnliches wäre für weitere pflanzenbasierte Produkte zu überlegen. Aktuell wird bei etwa 10 % der Brot- und Backwaren Jodsalz verwendet. Hier wäre es besonders sinnvoll, den Verwendungsgrad von Jodsalz zu erhöhen. Bei einem Verzehr von zwei Scheiben Roggenmischbrot à 50 g (100 g) würde man ohne Jodsalzverwendung etwa 4 µg Jod aufnehmen und bei Jodsalzverwendung etwa 40 µg.
Welche ernährungspolitischen Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht am vielversprechendsten, um die Jodversorgung der Menschen in Deutschland langfristig zu sichern?
An erster Stelle sollte stehen, Verbrauchende und Lebensmittelherstellende zu informieren, wie wichtig eine gute Jodversorgung für die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern – auch schon vor der Geburt – sowie die allgemeine Leistungsfähigkeit ist. In diesem Sinne hat das Bundesministerium für und Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH) die Informationsoffensive „Wenn Salz, dann Jodsalz“ gestartet. Diese und ähnliche Aufklärungskampagnen sollten kontinuierlich laufen, damit das Bewusstsein für die Bedeutung einer ausreichenden Jodversorgung wächst. Zudem wäre ein höherer Verwendungsgrad von Jodsalz bei industriell und handwerklich hergestellten Lebensmitteln wünschenswert. Das würde es erleichtern, die o. g. Risikogruppe der Mädchen und Frauen aber auch insgesamt die Bevölkerung besser mit Jod zu versorgen. Zur Evaluierung der ergriffenen Maßnahmen ist ein regelmäßiges Produktmonitoring zur Verwendung von Jodsalz sowie ein Monitoring der Jodversorgung der Bevölkerung sinnvoll. Derartige Programme laufen schon. Vor Inkrafttreten der aktuellen Kennzeichnungsverordnung reichte die Angabe „Jodsalz“ oder „jodiertes Speisesalz“ auf dem Etikett aus. Gemäß der aktuellen Verordnung muss Jodsalz als zusammengesetzte Zutat als „Natriumjodat“ oder „Kaliumjodat“ aufgeführt werden. Aus Sicht des BfR würde eine vereinfachte Kennzeichnung nicht zu gesundheitlich relevanten Fehlinformationen oder Kenntnislücken führen. Schließlich würde das BfR auf EU-Ebene einen harmonisierten Ansatz für Jodhöchstgehalte im Salz begrüßen, da dies vermutlich den Verwendungsgrad von Jodsalz und damit die Jodzufuhr in der EU generell erhöhen und Handelshemmnisse abbauen würde. Da einige EU-Mitgliedsstaaten bereits seit vielen Jahren unterschiedliche nationale Höchstwerte für Jod im Salz festgelegt haben, stellt dieser Ansatz jedoch eine große Herausforderung dar.
Was individuell und auf Bevölkerungsebene möglich ist
Für sein individuelles gesundheitliches Wohlergehen ist jeder Mensch selbst verantwortlich.
Geht es um die Nährstoffstoffversorgung, etwa mit Jod, bedarf es dazu neben Wissen, was eine gesunde Ernährung ausmacht, z. B. auch Informationen zur Lebensmittelzusammensetzung. Dabei leistet der Staat etwa durch den Erlass gesetzlicher Kennzeichnungspflichten und mit der Informationsoffensive „Wenn Salz, dann Jodsalz“ einen wichtigen Beitrag. Doch die Datenlage zur Jodversorgung zeigt: Mit reiner Verhaltensprävention in Form informatorischer Maßnahmen ist es nicht getan. Aktuelle Ergebnisse einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag des Arbeitskreises Jodmangel e. V. (AKJ) zeigen, dass gerade einmal 15 % der Verbrauchenden beim Einkauf auf das Zutatenverzeichnis achten. In Bezug auf die Verwendung von Jodsalz im Produkt sind es sogar nur 8 %.
Besondere Informationsbedarfe von Risikogruppen
Hinzu kommt, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen möglicherweise konkretere Informationen und aktivere Unterstützung benötigen: Erwachsene und Kinder, die sich vegan oder vegetarisch ernähren, weil sie teilweise oder vollständig auf wichtige jodliefernde Lebensmittel verzichten oder Schwangere und Stillende, weil sie einen zwischenzeitlichen >Mehrbedarf an Jod haben. Zielgruppengerechte Aufklärungsgespräche im Rahmen ärztlicher Vorsorgeuntersuchungen könnten hier noch intensiver als Informationskanal dienen. Eine diesbezügliche Notwendigkeit verdeutlichen etwa die Ergebnisse der Studie zum Stillen und zur Säuglingsernährung in Deutschland (SuSe II): Danach folgten 2018/2019 gerade einmal die Hälfte der befragten Frauen während der Schwangerschaft der Empfehlung, Jod zu supplementieren.
Laut den Ergebnissen der VeChi-Youth-Studie, in der auch die Jodversorgung von Kindern und Jugendlichen untersucht wurde, die sich vegan, vegetarisch oder omnivor ernährten, zeigte sich bei vielen eine kritische Jodversorgung – ganz gleich, welchem Speiseplan sie folgten. Auch das lenkt den Blick auf das große Potenzial von Vorsorgeuntersuchungen, z. B. der verpflichtenden U1 bis U9 und der freiwilligen J1 und J2.
Dass hinsichtlich der Jodversorgung speziell bei veganer Ernährung stärkerer Aufklärungsbedarf besteht, legt auch eine Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) aus 2020 nahe: Jod gilt als Sorgenkind. Die Mehrzahl der erwachsenen vegan und omnivor lebenden Teilnehmenden war unterversorgt, das Ausmaß war bei den vegan lebenden Personen noch deutlich stärker: bei einem Drittel lag der mediane UIC unterhalb von 20 μg/L. Bei Unterschreitung dieses Grenzwertes nach WHO liegt eine schwere >Unterversorgung vor. Eine standardmäßige gezielte Aufklärung zur Jodversorgung beim Besuch von Allgemeinärztinnen und -ärzten könnte hier unterstützen.
Die jodreiche Wahl zur einfachen machen
Eine der vielversprechendsten Maßnahmen zur Verbesserung der allgemeinen Jodversorgung ist der Einsatz von Jodsalz in der industriellen und handwerklichen Lebensmittelherstellung. Dadurch würde das Lebensmittelangebot hin zu einem jodreicheren Sortiment wachsen, ohne die Wahlfreiheit von Herstellenden und Konsumierenden zu beschränken. >Berechnungen des BfR zufolge ließe sich eine adäquate Jodversorgung bereits erreichen, wenn etwa 40 % aller Lebensmittel mit Jodsalz hergestellt würden. Laut >Produktmonitoring des Max Rubner-Instituts (MRI) von 2024 sind es aktuell maximal 30 % über alle Lebensmittelgruppen hinweg.
Wie andere Länder die Jodversorgung sichern
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob eine verpflichtende Jodanreicherung von Salz die Lösung wäre. Ein Blick in andere Länder stützt diesen Ansatz: So etwa wird in Kanada Speisesalz verpflichtend mit 76,5 mg Jod/kg angereichert. Nach einer Studie mit 500 kanadischen Schwangeren wiesen 99 % eine ausreichende Jodversorgung auf. Dazu trug auch die von annähernd allen Schwangeren umgesetzte präkonzeptionelle Jodsupplementierung bei.
Auch Polen setzt seit 1997 auf die verpflichtende Salzanreicherung. Rund 90 % der Haushalte verwenden Jodsalz. Parallel wird dort Tierfutter mit Jod angereichert, dafür dürfen Lebensmittel nicht mit Jodsalz hergestellt werden. Die Jodversorgung in Polen galt zumindest 2017 noch als ausreichend. Gleichzeitig gibt es dort heute immer noch regionale Unterschiede in der Jodversorgung. Zu den Risikogruppen zählen nach wie vor schwangere und stillende Frauen sowie Säuglinge und Kleinkinder.
Österreich galt als Jodmangelgebiet, bis 1963 die Jodierung von Speisesalz eingeführt wurde. Der Jodierungsgrad wurde mehrfach (1990, 1997 und 1999) angepasst und liegt heute bei 15-20 mg Kaliumjodid/kg Salz. Unjodiertes Speisesalz darf nur auf ausdrücklichen Kundenwunsch abgegeben werden. Zuletzt konnte 2004 bei Kindern nachgewiesen werden, dass eine zumindest noch ausreichende Jodzufuhr gewährleistet war. Eine Diplomarbeit an der Universität Wien aus dem Jahr 2012 zeigte bei etwa drei Vierteln der untersuchten Seniorinnen einen ausreichenden Jodstatus. Angesichts einer medianen Jodausscheidung im Urin (UIC) bei Kindern bis 15 Jahren von 120 µg/L und bei Erwachsenen von 154 µg/L stellt sich die Versorgungssituation in Österreich laut DGE heute als ausreichend dar.
Die meisten Länder Europas bauen allerdings auf das Prinzip der Freiwilligkeit, so etwa die Schweiz, die skandinavischen Länder, Portugal und Spanien. Die Jodgehalte im Speisesalz rangieren zwischen 20 und 60 mg Jod/kg Salz. Zumindest die Allgemeinbevölkerung gilt als ausreichend mit Jod versorgt, in Teilen zählen allerdings auch dort schwangere und stillende Frauen zu den gefährdeten Gruppen.
Ausblick für Deutschland
In Deutschland wird Speisesalz aktuell auf freiwilliger Basis mit durchschnittlich 20 mg Jod/kg Salz angereichert. Aufgrund der unzureichenden Versorgungslage ist eine Erhöhung auf 30 mg Jod/kg Salz zumindest wissenschaftlich evaluiert und diskutiert. Ohne eine Erhöhung des Anteils von mit Jodsalz hergestellten Lebensmitteln wäre allerdings der höhere >Jodierungsgrad laut BfR möglicherweise noch nicht ausreichend. Daher wäre es entscheidend, dass Lebensmittelherstellende vermehrt jodiertes Speisesalz verwenden und zusätzlich über eine Erhöhung der Jodkonzentration im jodierten Speisesalz nachgedacht wird. Verbrauchende sind aufgerufen, zuhause konsequent Jodsalz zu verwenden und außer Haus ihre „Marktmacht“ einzusetzen: Kantinen- und Restaurantbetreibende sowie Lebensmittelherstellende aktiv zum Einsatz von Jodsalz auffordern.
Sollte sich über staatlich initiierte zielgruppenangepasste Informationsoffensiven, ärztliche Aufklärung im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen und ein größeres Sortiment an mit Jodsalz hergestellten Lebensmitteln keine Verbesserung der Jodversorgung auf Bevölkerungsebene einstellen, könnte vermehrt für eine individuelle Jodprophylaxe durch frühzeitige Supplementierung, v. a. bei Risikogruppen wie Schwangeren und Stillenden, Kindern und Jugendlichen sowie vegan lebenden Menschen geworben werden.
Dr. Christina Rempe, Berlin; Dr. Birgit Jähnig, BLE
Alexy et al. (2020). Vegetarische und vegane Ernährung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – VeChi-Youth-Studie*. Im Internet: https://vechi-youth-studie.de/ergebnisse/
Esche, J., Remer, T. (2019). Abschlussbericht - Biomarker-basierte Langzeitanalysen zur Ermittlung des Anteils von Jodsalz an der Salzaufnahme und der Jodversorgung in der deutschen Bevölkerung –Berichtszeitraum: Januar 2018 – August 2019.
Gréa C, Busl L, Werner R, Wolff D, Goos E, Roser S, Storcksdieck genannt Bonsmann S: Verwendung von Jodsalz in Fertigprodukten. Eine Abschätzung auf Grundlage des Produktmonitorings. Ernährungs Umschau 2023; 70(12):134-8 DOI: 10.4455/eu.2023.022
Hey I, Thamm M (2019). Abschlussbericht. Monitoring der Jod- und Natriumversorgung bei Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Studie des Robert Koch-Instituts zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS Welle 2).
Remer T, Thamm M (2015). Abschlussbericht: Ermittlung der täglichen Jod- und Salzzufuhr Erwachsener in Deutschland: Biomarkerbasierte Datenanalyse der repräsentativen DEGS-Studie und methodologische Basislegung für künftige Gesundheitssurveys.Repräsentative Markterhebung zur Verwendung von Jodsalz der Universität Gießen (2019). Im Internet: https://jlupub.ub.uni-giessen.de/server/api/core/bitstreams/4cfc3c60-057c-4b8b-a1e4-341c4ec0a619/content
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